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Jul 25, 2018 28 tweets 6 min read Twitter logo Read on Twitter
Wie ich zum #Antifaschist/en wurde...
Das fragte mich vor ein paar Tagen der Vater des neuen besten Freundes meines 4jährigen. Wir sprachen und diskutierten bis spät in die Nacht. Er, Rechtsanwalt. Ich, Ingenieur.
Ich mußte sehr weit ausholen. Im Grunde wurden die Grundlagen schon in meinem Kleinkind-Alter gelegt. Beide Großväter waren in WK2 Kämpfer in der jugoslawischen Partisanen-Bewegung. Einer sehr jung, der andere in gestandenem Alter mit sehr vielen Geschichten aus dieser Zeit.
Es war klar, wer die Bösen waren und wer die Guten. Natürlich verstand ich damals als Kindergartenkind nicht um was es in den Geschichten ging. Aber ich wußte, wenn ich von den Sommerferien zurück komme in meinen deutschen Kindergarten, bin ich einer der Guten.
Wahrscheinlich dachten die Eltern meiner Kindergartenfreunde genau das Gegenteil von mir. Ich wurde nie zum Spielen eingeladen und meine erste Geburtstagsfeier-Einladung erlebte ich Jahre später mit 13. Ein griechischer Kumpel vom Fußball lud mich damals zu meiner 1. Party ein.
Aber nochmal zurück in die Kindergartenzeit. Das war Anfang der 70´s. Ich gehörte zur ersten Gastarbeiterkinder-Generation und war fast immer der einzige Ausländer. Zuerst im Kindergarten, dann auch in der Grundschule. Zur Grundschulzeit habe ich auch mal einen Tweet verfasst
Also kam ich dann nach ein paar Startproblemen auf ein Gymnasium in Stuttgart/Möhringen. In meiner Klasse war ich wieder der einzige Ausländer. Aber in meiner Parallelklasse war ein Kind, Timothy, dessen Vater ein US-GI gewesen ist. Tim war Afroamerikaner.
Kurz nach Beginn des Schuljahres beobachtete ich nach dem Unterricht, wie mehrere Kinder aus höheren Stufen Tim hin und her schubsten. Ich ging dazu und forderte sie auf damit aufzuhören, da Tim schon weinte. Ich kassierte meine erste Tracht Prügel auf der neuen Schule.
Tim übrigens auch. Ab diesem Tag waren wir best Friends. Tim und seinem Vater verdanke ich, daß ich heute noch die einzig wahre Musik höre: Soul!! Nach 2 Jahren verliess Tim unsere Schule, da sein Vater versetzt wurde. Also war ich wieder der "Einzige".
Dann kam Schuljahr 8, ich war 13. In der Oberstufe hatte sich eine Gruppe gegründet, die enge Jeans, grüne Bomberjacken und Springerstiefel trugen. Den Schädel hatten sie sich auch rasiert. Irgendwann wurden die auf mich aufmerksam. Zuerst nur Zurufe wie "Jugo" & "Kanake"
Dann fingen sie mich eines Tages auf dem Heimweg ab. Ihr Anführer hieß "Kettenmann". Ich sollte meine Hacken zusammenschlagen, Heil Kettenmann rufen und dabei meine Hand zum Gruß heben. Ich weigerte mich. Ergebnis: Nasenbeinbruch, Jochbein eingeschlagen, Gehirnerschütterung, ...
Das war um die Weihnachtszeit. Ich weiß noch, wie mich meine Klassenlehrerin im Krankenhaus besuchte und mir Bücher und Lehrmaterial brachte. Ich sollte Weihnachtslieder auswendig lernen. Sie erzählte mir, daß Kettenmann richtig Ärger bekommen hatte. Er mußte nachsitzen.
Ja, wenn die Mutter Co-Rektorin und der Vater der Dienststellenleiter an der örtlichen Polizeistelle ist, dann wird man halt hart bestraft.
Ich konnte erst wieder im Neuen Jahr das Krankenhaus verlassen. Kann mich noch sehr gut daran erinnern wie groß die Angst vor der Schule war
Falls jetzt jemand fragen will was denn meine Eltern unternommen haben. Die Gastarbeiternachfahren werden es schon wissen, meine Eltern waren einfach ruhig um nicht noch mehr Ärger zu bekommen.
Erster Tag in der Schule nach meinem "Unfall". Kettenmann und Gruppe bepöbelten mich. Auch wurde mir gedroht, daß das nur der Anfang gewesen sei. Ich solle lieber ins dreckige Jugoslawien abhauen. Kann mich noch dunkel erinnern, wie ich etwas mit Slawen und Sklaven sagen sollte.
Natürlich weigerte ich mich. Zu Hause hatte ich mir ein Messer aus dem Besteckkasten genommen und es heimlich in meinem Schulranzen versteckt. Ich hatte mir fest vorgenommen mich zu wehren. Jetzt holte mich aber jeden Tag unsere Nachbarin von der Schule ab. Also war ich safe.
Dann kamen irgendwelche Ferien zwischen Fasching und Sommer. Ich war auf einem Bolzplatz mit Freunden (alles Ausländer). Neben dem Bolzplatz sah ich Kettenmann auf seinem Moped. Meine Chance! Ich nahm eine Zaunlatte ging auf ihn zu und schlug ihn minutenlang mit der Latte.
Auch Kettenmann landete im Krankenhaus. Kann mich aber nicht erinnern was er alles hatte, außer daß er übel aussah. Am selben Abend kam dann die Polizei zu uns nach Hause. Wahrscheinlich hatte ich Glück, daß ich noch 13 war. Okay, mit meiner Mutter hatte ich kein Glück.
Am ersten Schultag nach den Ferien wurde ich vom Rektor aus dem Klassenzimmer geholt. Mir wurde gesagt, daß ich von der Schule fliegen werde und daß meine Eltern vorbei kommen sollen. Lange Geschichte, kurze Erzählung: Ich beendete das Schuljahr auf der Realschule im Ort.
Nach den Sommerferien wechselte ich auf ein Gymnasium in der Stadtmitte von Stuttgart. Andere wollten mich nicht aufnehmen. Jeden Tag 20 km hin und 20 km zurück. Aber auch die Sommerferien waren prägend. Meine Eltern gingen mit mir in den Ferien in das ehemalige KZ Jasenovac.
Ich werde diese Bilder, die damals in meinem Kopf hängen geblieben sind, niemals vergessen. Damals verankerte sich auch der Begriff "Antifaschismus" in meinem Kopf. Ich kaufte mir einen Schlüsselanhänger in Jasenovac: "Den 700.000 Opfern des Faschismus" war die Inschrift.
Diesen Anhänger habe ich vor ein paar Jahren verloren. Bis dahin trug ich ihn immer bei mir.
Na gut, danach erlebte ich wie jeder andere Ausländer den täglichen "Du bist hier fremd Scheiß". Das alles aufzuzählen wäre zu viel.
1990 machte ich dann mein Abi mit Auszeichnung. Und wie jeder patriotische Jugo, meldete ich mich freiwillig und voller Vorfreude zum Militärdienst in der JugoArmee. Was dann ab 1991 los war, ist reichlich bekannt. Nur soviel zu dieser Zeit ab Mai 91: Ich weiß was Faschismus ist!
Ich weiß es, nicht weil ich es gelesen habe. Ich weiß es, nicht weil es mir jemand erzählt hat. Ich weiß es, nicht weil ich jahrelang darüber nachgedacht habe. Nein, ich weiß es, weil ich davon umzingelt gewesen bin und ich zu einem Teil davon gemacht wurde.
Im Mai 91 desertierte ich aus der JNA und schloss mich den ersten kroatischen Wehrverbänden an. Ich hielt es für meine Pflicht mein Land und meine Familie gegen die Bösen, die gestern noch meine Freunde gewesen sind zu verteidigen. Im Nachhinein weiß ich es um einiges besser.
Dieser Krieg war so sinnbefreit, wie selten ein Krieg zuvor und danach. Brüder sind auf Brüder losgegangen, Freunde auf Freunde. Tausende Tote, Hundertausende Vertriebene. Und warum? Weil ein paar Faschisten dachten, sie könnten ihre Fantasien ausleben. Und wir haben mitgemacht.
Nachdem ich dem Vater des besten Freundes meines 4jährigen aus meinem Leben erzählt hatte, sagte er: "Dir blieb garnichts anderes übrig als ein #Antifaschist zu werden."

Eben!
Fast hätte ich es vergessen. Ihr #AfD/ler da draußen, ich kenne euch so lange wie meine Erinnerungen in meinem Leben zurück reichen. Den Mist den ihr erzählt habe ich als Kleinkind schon gehört, damals waren meine Eltern und ich die Bedrohung. Ihr seid das Problem, nicht wir!
Und Leute, da Draußen gibt es ein paar Anständige @Mica4711 @ISTANBUL_THEMES, uvm. die sehr viel Zeit und Energie dafür einsetzen, sich und uns vor diesem rechten Mob zu schützen. Wir sollten ihnen etwas unter die Arme greifen, so wie ich damals Tim, auch wenn es weh tat.

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