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May 4, 2018 17 tweets 4 min read Twitter logo Read on Twitter
#Ellwangen ist ein bitteres Lehrstück darüber, wie politisches Framing & Diskursverschiebung nach Rechts funktionieren. Die Auswirkungen sind fatal, denn am Ende wird eine der wichtigsten Grundlagen der pluralen Demokratie angegriffen: Die Gleichwertigkeit aller Menschen (Thread)
Es ist zu beobachten, dass die von der #AfD und anderen Akteur*innen der extremen Rechten propagierte Apokalypse-Erzählung (Narrativ) vom "untergehenden Rechtsstaat" inzwischen in weiten Teilen der bürgerlichen Mitte verfangen hat (1)
Dabei scheint es jene, die nach der "erforderlichen Konsequenz und Härte" (Kretschmann) rufen oder den "Staat, der den Mob regieren lässt" (BILD) herbeischreiben, nicht zu interessieren, was tatsächlich vorgefallen ist, wie die #TAZ herausstellt: taz.de/!5500584/ (2)
Dieser Untergangsnarrativ ist aus (mind.) zwei Gründen brandgefährlich: 1. schreibt er Geflüchteten, explizit schwarzen Menschen, permanent bestimmte Eigenschaften zu wie "unkontrollierbar", "unzivilisiert", "gewalttätig" und 2. lassen sich damit Sondergesetze legitimieren (3)
Die deutsche Asylgesetzgebung ist für sich genommen eine Sondergesetzgebung, die asylsuchende Menschen an vielen Punkten rechtlich schlechter stellt oder gar Sonderstraftatbestände geschaffen (Residenzpflicht). Dies ist aber gerade im Prozess (4)
Die Debatte um Ellwangen verdeutlicht, dass in der Debatte über das Asylsystem, dessen Wirkungsweise und Folgen für die Betroffenen jedes Maß und die Fähigkeit, zu differenzieren, verloren gegangen ist, weil jedes Ereignis zum Politikum für weitere Verschärfungen taugt (5)
Hier kommt das politische Framing ins Spiel. Ein "frame" ist ein "Rahmen", in dem ein bestimmter Sachverhalt dargestellt wird. Die Ereignisse von Ellwangen könnte man im Rahmen "ziviler Ungehorsam" diskutieren. Diskutiert werden sie aber im Rahmen "Migranten-Mob/-Gewalt" o.ä. (6)
Wir erleben seit einigen Jahren, wie sich die frames in der "Flüchtlingsfrage" verändern. Seenotrettungs-NGOs werden kriminalisiert, private Seenotretter*innen gar des "Menschenschmuggels" angeklagt. Dabei wäre der angemessenste frame: Held*innen, die Menschenleben retten (7)
Im Fall von Ellwangen wird deutlich, dass den Geflüchteten banale und normale Prinzipien gesellschaftlichen Handelns in einer Demokratie abgesprochen werden: Ziviler Ungehorsam gegen empfundene Ungerechtigkeiten, Selbstermächtigung und die Fähigkeit zur Sprache (8)
Während der Resonanzkörper für allerlei rechtsradikale Erzählungen, Verschwörungstheorien und Ressentiments von Bewegungen wie PEGIDA gigantisch groß gewesen zu sein scheint, kommen wenige Medienschaffende und Politiker*innen auf die Idee, Geflüchteten zuzuhören (9)
Dabei haben sie eine ganze Menge zu erzählen über Isolation, Perspektivlosigkeit, Angst, die brutalen Auswirkungen von Abschiebungen u.v.m. Im Diskurs geht ihre Perspektive aber völlig unter. Diese Schieflage begründet letztlich jede weitere rechtliche Schlechterstellung (10)
Ellwangen ist zwar das aktuellste, aber auch nur eines von unzähligen Beispielen aus den letzten Jahren, die deutlich machen, dass die Diskursverschiebung nach Rechts in vollem Gange ist und inzwischen weite Teile der Spektren links der extremen Rechten erreicht hat (11)
Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren nicht nur Einzelpersonen oder Teile der Bevölkerung brutalisiert (siehe Anschläge auf Asylunterkünfte), sondern auch, rückkoppelnd, den politischen Mainstream, der als einzige Antwort nur noch mehr Law & Order zu kennen scheint (12)
In weiteren Phasen dieser Entwicklung werden sich weite Teile der Bevölkerung immer mehr daran gewöhnen, dass es legitim sei, bestimmten Menschengruppen kollektiv ihre Recht zu verwehren bzw. diese schrittweise einzuschränken (13)
Damit tritt die absurde Situation, die sich schon längst ablesen lässt: Die selbsternannten Demokrat*innen, die die Demokratie gegen die Antidemokrat*innen der AfD verteidigen wollen, legen in vorauseilender Panik selbst die Säge an die Grundpfeiler der Demokratie an (14)
All das wird langfristig die AfD stark machen, denn die Wählergruppen, die ein Interesse an autoritären Lösungen haben, werden sich erinnern, wer die autoritärsten Lösungen zuerst forderte, sprich: Original wählen. Die Diskursverschiebung nach Rechts nützt also nur der AfD (15)
Der Thread im Gesamten ist auch hier nachlesbar: facebook.com/robert.fietzke… (und bald auch auf 1 Blog 😬)

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